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In die Stille hinein läuten die Glocken

SZOn – Schwäbische Zeitung Online vom 18.10.2005 von ELKE OBERLÄNDER

In die Stille hinein läuten die Glocken


KLUFTERN (elo) Kanonen, Glocken, Stacheldraht: Harten Stoff hatten die Besucher zu verdauen beim zweiten Klufterner Geschichts- und Kunsttag am vergangenen Sonntag. Günther Schulze vom AK Heimatgeschichte hat eine Open-Air-Video-Collage gezeigt, und die Gruppe KIK Kunst in Kluftern hat im Rathaus eine Ausstellung eröffnet.
Noch ist die Klufterner Kirche St. Gangolf vor dem hellen Nachthimmel gut zu erkennen. Vor der Kirchentür steht eine große weiße Leinwand – gegenüber, vor dem Rathaus, ein Pavillon mit Vorführgeräten und ein paar Bierbänken drum herum. Die meisten Besucher bleiben stehen, dick eingemummelt in warme Mäntel und wattierte Jacken. Es geht los: Auf der Leinwand erscheint ein weißhaariger Mann in blauer Latzhose und kariertem Hemd. Sichtlich bewegt berichtet Rudolf Nägele aus Lipbach, wie das damals war, als die jungen Männer in den Krieg mussten – und zeigt ein Foto seiner gefallenen Brüder.
Wie die Jugend auf Hitler und den Krieg eingeschworen wurde, ist auf historischen Schwarzweißaufnahmen zu sehen. Und wie der Krieg dann wirklich war: von fahnenschwingenden Marschkolonnen über knatternde Maschinengewehre und Kanonendonner bis zu den Schützengräben. Das Knattern und Krachen endet abrupt. Es folgen Bilder von Flucht und Gefangennahme, von Menschen im zerbombten Friedrichshafen. Die Kamera zeigt zerstörte Gesichter und in die Stille hinein beginnen die Kirchenglocken zu läuten. Über die Leinwand ziehen die Namen der 61 Männer aus Kluftern, Lipbach und Efrizweiler, die im Zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren haben. Weiter geht es wieder in Farbe: Bernd Caesar vom AK Heimatgeschichte befragt Klufterner Zeitzeugen nach der Rückkehr der Glocken. Sie waren im Krieg auf den Hamburger Glockenfriedhof verschleppt worden, kamen jedoch 1948 heil zurück. Alt-ortsvorsteher Leo Benz war damals elf Jahre alt und Ministrant. An den bekränzten Festwagen kann er sich noch gut erinnern – wie Johanna Stehle auch. Und Elli Dietenberger weiß noch, dass sie damals ein Gedicht aufgesagt hat. Zu Detailaufnahmen der Glocken und des heutigen, frisch renovierten Glockenstuhls spielt die Blasmusik des Musikvereins Kluftern. Radler, Wanderer und spielende Kinder auf der Leinwand lassen die den Film in friedlicher Dorfidylle ausklingen.
Mehrere Monate hat Günther Schulze an der Video-Collage gearbeitet. Ob sie noch einmal aufgeführt wird? Schulzes Antwort: ein entschiedenes “Nein”. Dafür sei der Aufwand zu groß. Immerhin hat der Musikverein mitgespielt und Franz Biller hat passend zum Film die Glocken geläutet. “Gut, dass wir das Walkie-talkie hatten”, sagt Schulze. Er und Biller haben während der ganzen Vorführung in Funkkontakt gestanden. Nach einer Stunde Stillstehen oder Stillsitzen in der Kälte braucht Ortsvorsteher Clifford Asbahr die Besucher nicht lange bitten, als es ins warme Rathaus zur Ausstellung geht. “Wut” heißt das erste Bild im Treppenhaus, weiter oben folgen Motive wie Kanonen, Stacheldraht und Zerstörung. Die Klufterner Künstler Kathleen-Manigk-Lesche, Rudolf Moser, Kordula Schillig, Günther Schulze, Heinrich Kaltenbach, Brigitte Caesar, Erika Zehle, Ragnhild Becker und Gunar Seitz haben sich jeder auf seine Weise mit dem Thema Krieg beschäftigt. Dabei sind eindrucksvolle und bedrückende Werke entstanden.